Eine ganz normale Chorprobe / Teil 2

Wenn des Redakteurs Mund zu einer „Kathedrale“ wird

Erlebnisse eines Zeitungsmannes bei einer Probe des Belecker MGV-Projektchores
„Baströckchen“ im Deutschen Haus – „Kleine Nachtmusik“ auf den Lippen

Von R. Großelohmann

BELECKE

  • Termine sind für uns Journalisten das tägliche Brot. Doch wenn wir irgend­wo erwartet werden, wo es nicht ums Schreiben oder Fo­tografieren geht, sondern wo ganz andere Talente verlangt werden, sind auch wir ein wenig aufgeregt. Nach ein paar kräftigen Stimmübungen hinterm Steuer meines Volvo parke ich vor dem Deutschen Haus und trete ein in den ge­mütlichen Gastraum des Traditionshauses in der Belecker Altstadt. Und da warten sie auch schon, die Herren des Belecker Männerchores. Beim Presse-Neujahrsempfang hat­te Vorsitzender Josef Wüllner mich und WP-Kollege Lim­brock ganz überraschend auf die Bühne geholt und uns beiden eine Einladung zu ei­ner „Probe des Projektcho­res“ in die Hand gedrückt.Heute ist es also soweit. Noch schnell ein Bier an der Theke getrunken und mit dem Vorsitzenden kurz darü­ber fabuliert, dass doch kal­tes Bier gar nicht gut für die Stimmbänder ist – und schon steigen wir die paar Stufen höher in den kleinen Saal, wo im Halbrund um das schwarze Klavier die Stühle der Sänger aufgestellt sind. Diesmal wird allerdings nur die allererste Reihe besetzt, schließlich gehören zum Pro­jektchor nur 15 Sänger des fast 60-köpfigen Gesamtcho­res. Seit einem halben Jahr haben sie sich der Einarbei­tung von Pop-Style-Stücken verschrieben.Zwei Plätze direkt in der Mitte bleiben frei. Wie prak­tisch. Kollege Limbrock und ich, wir sind auf diese Weise quasi automatisch im 1. Bass eingruppiert. „Das passt ganz gut“, hat Dirigent Martin Krö­mer längst seine Ohren auf Peilung gestellt und anhand der Gespräche und unserer Stimmen eine erste Zuord­nung vorgenommen.Bevor es so richtig ernst wird, gibt’s aber eine sportli­che Einlage: das Lockern der Schultern. „Martin ist von seiner Arbeit nämlich immer so verspannt“, feixt Peter Mahnke – „mein Schärfster Kritiker hier auf der linken Seite“, wie der Meister am Piano lächelnd gesteht und schon bei der nächsten Übung ist. Das Zwerchfell wird gestreckt. Wir sollen die Luft wie eine Fahrradluft­pumpe herausdrücken. Wie gut, dass ich das vom Auf­pumpen der Familien-Fahr­radflotte kenne. „Der Mund­raum wird zur Kathedrale“, höre ich – und erfahre, dass Gähnen die beste Übung vor dem Singen ist. Dabei bin ich doch gar nicht müde.Und dann geht alles Schlag auf Schlag. Mir wird das No­tenbuch von Philipp Jesse in die Hand gedrückt, „Jamaika Farewell“ wird vom Dirigen­tenpult angekündigt und ehe wir uns versehen, spielt uns Martin Krömer unsere Bass­Melodie vor. Zum Glück haben wir mit Horst Hildebrand einen Profi direkt neben uns, an dessen Gesang wir uns andocken können.

    War es leichtfertig zu sa­gen, dass mir Noten noch aus der Schule geläufig sind? Herr Dirigent hört es erfreut – und geht ab jetzt davon aus, dass wir Redakteure keine Extrawurst mehr brauchen.

    Apropos Schule. So ein bisschen fühle ich mich zu­rück versetzt in alte Zeiten, als wir im Musikunterricht auf Stühlen mit den kleinen Klapptischchen vor dem Kla­vier saßen. Markus Schröder neben mir schaut zu, wie ich die Noten zum Text suche und hilft mir mit einem Tipp auf die Sprünge. Abgucken ist hier wohl erlaubt.

    Eigentlich klappt’s ganz gut, bis plötzlich nicht nur der 2. Bass einstimmt, son­dern auch noch der 1. und 2. Tenor und ich das Gefühl ha­be, hier werden vier Lieder parallel gesungen.

    Doch der Mensch ist ein Gewohnheitstier – und ge­wöhnt sich damit auch an Herausforderungen. Beim nächsten Mal klappt es schon viel besser, und dann legt

    sich Martin Krömer ins Zeug und kommt zu den Feinhei­ten. Der Inhalt des Liedes sei… „Party“ – „Stellt euch einfach Baströckchen vor“ – „Jamaica Farewell“ – und plötzlich geht’s ganz locker über die Lippen.

    Bevor sich bei uns Elf auf der anderen Seite des Kla­viers richtig Partystimmung breit macht und wir vielleicht noch ein bisschen mehr über Hermann Bertlings Tabakpro­bleme feixen – „Jetzt muss ich aber mal wirklich sagen, ich rauche eigentlich nicht“ – ruft Herr Dirigent zum nächs­ten Lied. Und wir beiden Un­bedarften haben das Gefühl, dass Martin Krömer uns et­was Gutes tun möchte. Unse­re Melodie bei „Love me ten­der“ ist einfach, während die Tenorstimmen vor größeren Anstrengungen stehen. Hier zeigt sich, wie wichtig der Einfluss des Chorleiters bei Rhythmik und Lautstärke ist. Martin Krömer gelingt es, dass sogar die beiden singen­den Redakteure im richtigen Moment kräftig singen und sich im nächsten Moment zu­rücknehmen – „tender“ heißt schließlich „zärtlich“. Wir wundern uns, wie toll es klingt, wenn elf Männer dies vierstimmig hauchen.

    Dann machen wir noch ei­nen Ausflug in die Welt der klassischen Musik – Mozart, ein Lied nach der „Kleinen Nachtmusik“ – und zum Ab­schluss zur Freude unserer neun Mitsänger das Lied „Spieglein, Spieglein an der Wand“, für das der Projekt­chor bei seinem jüngsten Auftritt gefeiert wurde.

    „Und jetzt trinken wir noch ein Bier“, kommandiert Josef Wüllner freudig – und ich wundere mich, dass die Pro­be schon vorbei ist. Die Zeit verging wie im Fluge. In der gemütlichen Männerunde anschließend wird mir bewusst, dass Singen wirklich Spaß macht. Wir sitzen noch eine halbe Stunde zusammen, re­den über Gott und die Welt und dann löst sich die Schar Sänger langsam auf. Ich bin um eine eindrucksvolle Er­fahrung reicher – und viel­leicht in Zukunft nicht nur am Steuer meines Volvos ein begeisterter Sänger.

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