Eine ganz normale Chorprobe / Teil 1

Jetzt geht es ans Eingemachte

Erfahrungsbericht: Wie aus untalentierten Journalisten begnadete Chorknaben werden sollen / Mit Elvis Presley kommt Stimmung auf

Von Hans-Albert Limbrock

Tolle Erfahrung: Chorprobe mit dem Projektchor - Foto: Peter Mahnke

Tolle Erfahrung: Chorprobe mit dem Projektchor – Foto: Peter Mahnke

BELECKE.
150 Jahre durfte der Män­nerchor „Pankratius 1860 Belecke“ in Ehren alt wer­den und dabei doch erfri­schend jung bleiben. Aber eine Chorprobe mit Journa­listen hat der MGV in dieser langen Zeit auch noch nicht erlebt. Beim Neujahrsemp­fang hatte Vorsitzender Jo­sef Wüllner diese unge­wöhnliche Einladung ausge­sprochen. Eine Einladung, die Redaktionsleiter Hans-­Albert Limbrock dankbar an­genommen hat. Ein Erfah­rungsbericht:

Der Mann hat entweder Hu­mor oder er meint das ernst: „Jetzt geht es ans Eingemach­te“, sagt Chorleiter Martin Krömer seltsam frohgelaunt und kündigt an, dass wir nun „Jamaica Farewell“ singen werden. Ich hatte eigentlich auf einen Beginn mit „Alle meine Entchen“ gehofft. Man muss schließlich nicht gleich übertreiben. Während meine „Sangesbrüder auf Zeit“ mit geübten Fingern in ihren Lie­dermappen blättern, habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich diese Chorprobe viel­leicht geteert und gefedert ver­lassen werde. Singen war noch nie meine große Stärke. Schon in der Schule hat mich Musik­lehrer Brune aus dem Schul­chor katapultiert: „Brummen­de Bären gehören nach Kana­da, aber nicht in meinen Chor.“

Und jetzt „Jamaica Fare­well“. Ein Lied, das der von mir geschätzte Harry Belafon­te zu einem Evergreen ge­macht hat.

Der Auftakt der Probe, zu der sich der Projektchor des MGV im Deutschen Haus in Belecke eingefunden hat, war ja noch ganz locker. Da war mir Martin Krömer auch noch sympathisch. Erst einmal standen ein paar Lockerungs­übungen an: Schultern kreisen lassen, Luft holen und wieder ausatmen (Krömer: „Wie bei einer Luftpumpe“). Dann die ersten Stimmübungen mit Vo­kalen: Aber kaum bin ich warm geworden, kommt jener Satz, der klar macht, dass das heute kein Kindergeburtstag ist: ,,JETZT GEHT ES ANS EINGEMACHTE.“ Immerhin hat der Profi erkannt, dass der Bär auch heute noch brummt und mich zu den Bässen ge­schickt. Die sind heute ohne­hin leicht unterbesetzt.

Mein Nachbar Horst Hilde­brand („Ich bin eigentlich zweiter Bass“) zwinkert mir aufmunternd zu, während Krömer mit dem Klavier Ton und Takt vorgibt. Zunächst sind wir Bässe dran und singen etwa die Hälfte des Liedes. Warum wir nicht gleich – rein gesangstechnisch – bis zum Schluss durchspurten, er­schließt sich mir nicht ganz.

Allerdings habe ich ohnehin Mühe, die richtigen Textzeilen zu finden, denn offenbar ist gar nicht der gesamte Text für uns Bässe. Aber welchen Teil wir nun brummen sollen, bleibt mir bis zum Schluss der Probe unklar.

Der Anfang („Down the way the nights are gay“) ist im­mer noch ganz einfach, aber dann verliere ich irgendwann im Mittelteil den Gesangsfaden, schaue ratlos zu meinem Nachbarn, der mit Inbrunst et­was von „I had to leave a little girl in Kingston town“ singt. Gegen Ende springe ich dann wieder auf den Gesangszug auf und erreiche gemeinsam mit den anderen Bässen das Ziel. Ob das jemandem aufge­fallen ist?

Die Männer vom Projektchor scheinen ein großes Herz und ein sonniges Gemüt (oder sie haben schlechte Ohren) zu haben: Keiner meckert, keiner runzelt die Stirn – und Teer wird auch noch nicht ange­rührt. Sogar Krömer ist zufrie­den. „Das war gar nicht so schlecht“, sagt er. Aber ob er damit auch mich und meinen Kollegen vom Warsteiner An­zeiger, Reinhold Großelohmann – der ebenfalls zur Frak­tion der Brummbären gehört -, meint, verrät er nicht.

Rollenwechsel: Hans-Albert Limbrock und Reinhold Großelohmann als Chorknaben bei der Probe des Projektchores – Foto: Peter Mahnke

Nach uns versuchen sich die Tenöre an der schwierigen Liedvorgabe. Martin Krömer verrät an dieser Stelle noch einmal Grundsätzliches, „wie kriegt man eigentlich einen schönen Klang“ und erzählt, dass sich der Mund wie beim Gähnen aufspannen muss: „Dann wird der Mund zur Kathedrale.“ Nach drei Durchläufen der Tenorstimmen hat der Chorleiter die fatale Eingebung, dass Bässe und Tenöre nun gemeinsam das karibische Feeling aus „Jamaica Farewell“ intonieren können. Schlimmer noch: „Jetzt kommt der Moment der Wahrheit. Wir singen ohne Klavierbegleitung. Dann habe ich ein ganz anderes Ohr für die Stimmen.“

Ohne Klavier werden meine Probleme noch potenziert: Irgendwie kommen die Noten nicht mit meinem Tempo mit. Immer wieder muss ich auf die Bremse treten und darauf war­ten, dass die Tenöre und Bässe hinter mir herbummeln…

Krömer ist nicht zufrieden: „Wissen eigentlich alle, wo­rum es in dem Stück geht? Jamaica. Karibik. Party!!! Das muss man auch hören.“ Ich sehe mich schon im Baströckchen am 29. Mai beim Open-Air-Konzert am Haus Welschenbeck auf der Bühne ste­hen. Denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass Josef Wüllner seine Mission „Wir machen aus völlig untalentierten Jour­nalisten begnadete Sänger“ noch lange nicht erfüllt sieht.

Nach einer knappen halben Stunde haben wir Harry Belafonte genug gequält und widmen uns einem noch größeren der Branche: ELVIS. Das spielt mir in die Karten.

Schließlich singe ich zuhause vorzugsweise Bruce Springsteen. Das sind dann immer die Momente, wo die Mutter, also meine Frau, die vier Kin­der, Hund und Katze ins Auto packt und im befreundeten Ausland um Asyl bittet.

Jetzt also Elvis: „Love me tender“. Ja, geht’s denn noch schöner? Endlich mal ein Text, dem ich folgen kann. Endlich mal eine Melodie, die mir auf den Bassleib geschrie­ben scheint. Da kann ich den mir leibeigenen Resonanzkörper mal so richtig fordern. Schon nach dem zweiten Durchgang lass ich mich in das Liebeslied fallen und habe das Gefühl, dass ich meine Bassbrüder förmlich an die Wand singe. A star is born.

Das könnte eigentlich auch mal der Herr Chorleiter freundlich registrieren. Aber irgendwie scheint ihn mein gesangstechnischer Durchbruch nicht wirklich zu erreichen. Denn kaum bin ich so richtig in meinem Element, ist auch schon Schluss mit lustig. Der Herr Krömer möchte lieber noch etwas Klassisches hören. Das ist der Moment, wo ich mich ausklinke. Klassik und Limbrock – das geht nun gar nicht. Und außerdem müssen ja auch noch ein paar Fotos gemacht werden.

Vielen Dank für die Einladung, Herr Wüllner. Es war eine großartige Erfahrung!

Zeitungsbericht

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