Jetzt geht es ans Eingemachte
Erfahrungsbericht: Wie aus untalentierten Journalisten begnadete Chorknaben werden sollen / Mit Elvis Presley kommt Stimmung auf
Von Hans-Albert Limbrock
BELECKE.
150 Jahre durfte der Männerchor „Pankratius 1860 Belecke“ in Ehren alt werden und dabei doch erfrischend jung bleiben. Aber eine Chorprobe mit Journalisten hat der MGV in dieser langen Zeit auch noch nicht erlebt. Beim Neujahrsempfang hatte Vorsitzender Josef Wüllner diese ungewöhnliche Einladung ausgesprochen. Eine Einladung, die Redaktionsleiter Hans-Albert Limbrock dankbar angenommen hat. Ein Erfahrungsbericht:
Der Mann hat entweder Humor oder er meint das ernst: „Jetzt geht es ans Eingemachte“, sagt Chorleiter Martin Krömer seltsam frohgelaunt und kündigt an, dass wir nun „Jamaica Farewell“ singen werden. Ich hatte eigentlich auf einen Beginn mit „Alle meine Entchen“ gehofft. Man muss schließlich nicht gleich übertreiben. Während meine „Sangesbrüder auf Zeit“ mit geübten Fingern in ihren Liedermappen blättern, habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich diese Chorprobe vielleicht geteert und gefedert verlassen werde. Singen war noch nie meine große Stärke. Schon in der Schule hat mich Musiklehrer Brune aus dem Schulchor katapultiert: „Brummende Bären gehören nach Kanada, aber nicht in meinen Chor.“
Und jetzt „Jamaica Farewell“. Ein Lied, das der von mir geschätzte Harry Belafonte zu einem Evergreen gemacht hat.
Der Auftakt der Probe, zu der sich der Projektchor des MGV im Deutschen Haus in Belecke eingefunden hat, war ja noch ganz locker. Da war mir Martin Krömer auch noch sympathisch. Erst einmal standen ein paar Lockerungsübungen an: Schultern kreisen lassen, Luft holen und wieder ausatmen (Krömer: „Wie bei einer Luftpumpe“). Dann die ersten Stimmübungen mit Vokalen: Aber kaum bin ich warm geworden, kommt jener Satz, der klar macht, dass das heute kein Kindergeburtstag ist: ,,JETZT GEHT ES ANS EINGEMACHTE.“ Immerhin hat der Profi erkannt, dass der Bär auch heute noch brummt und mich zu den Bässen geschickt. Die sind heute ohnehin leicht unterbesetzt.
Mein Nachbar Horst Hildebrand („Ich bin eigentlich zweiter Bass“) zwinkert mir aufmunternd zu, während Krömer mit dem Klavier Ton und Takt vorgibt. Zunächst sind wir Bässe dran und singen etwa die Hälfte des Liedes. Warum wir nicht gleich – rein gesangstechnisch – bis zum Schluss durchspurten, erschließt sich mir nicht ganz.
Allerdings habe ich ohnehin Mühe, die richtigen Textzeilen zu finden, denn offenbar ist gar nicht der gesamte Text für uns Bässe. Aber welchen Teil wir nun brummen sollen, bleibt mir bis zum Schluss der Probe unklar.
Der Anfang („Down the way the nights are gay“) ist immer noch ganz einfach, aber dann verliere ich irgendwann im Mittelteil den Gesangsfaden, schaue ratlos zu meinem Nachbarn, der mit Inbrunst etwas von „I had to leave a little girl in Kingston town“ singt. Gegen Ende springe ich dann wieder auf den Gesangszug auf und erreiche gemeinsam mit den anderen Bässen das Ziel. Ob das jemandem aufgefallen ist?
Die Männer vom Projektchor scheinen ein großes Herz und ein sonniges Gemüt (oder sie haben schlechte Ohren) zu haben: Keiner meckert, keiner runzelt die Stirn – und Teer wird auch noch nicht angerührt. Sogar Krömer ist zufrieden. „Das war gar nicht so schlecht“, sagt er. Aber ob er damit auch mich und meinen Kollegen vom Warsteiner Anzeiger, Reinhold Großelohmann – der ebenfalls zur Fraktion der Brummbären gehört -, meint, verrät er nicht.
Nach uns versuchen sich die Tenöre an der schwierigen Liedvorgabe. Martin Krömer verrät an dieser Stelle noch einmal Grundsätzliches, „wie kriegt man eigentlich einen schönen Klang“ und erzählt, dass sich der Mund wie beim Gähnen aufspannen muss: „Dann wird der Mund zur Kathedrale.“ Nach drei Durchläufen der Tenorstimmen hat der Chorleiter die fatale Eingebung, dass Bässe und Tenöre nun gemeinsam das karibische Feeling aus „Jamaica Farewell“ intonieren können. Schlimmer noch: „Jetzt kommt der Moment der Wahrheit. Wir singen ohne Klavierbegleitung. Dann habe ich ein ganz anderes Ohr für die Stimmen.“
Ohne Klavier werden meine Probleme noch potenziert: Irgendwie kommen die Noten nicht mit meinem Tempo mit. Immer wieder muss ich auf die Bremse treten und darauf warten, dass die Tenöre und Bässe hinter mir herbummeln…
Krömer ist nicht zufrieden: „Wissen eigentlich alle, worum es in dem Stück geht? Jamaica. Karibik. Party!!! Das muss man auch hören.“ Ich sehe mich schon im Baströckchen am 29. Mai beim Open-Air-Konzert am Haus Welschenbeck auf der Bühne stehen. Denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass Josef Wüllner seine Mission „Wir machen aus völlig untalentierten Journalisten begnadete Sänger“ noch lange nicht erfüllt sieht.
Nach einer knappen halben Stunde haben wir Harry Belafonte genug gequält und widmen uns einem noch größeren der Branche: ELVIS. Das spielt mir in die Karten.
Schließlich singe ich zuhause vorzugsweise Bruce Springsteen. Das sind dann immer die Momente, wo die Mutter, also meine Frau, die vier Kinder, Hund und Katze ins Auto packt und im befreundeten Ausland um Asyl bittet.
Jetzt also Elvis: „Love me tender“. Ja, geht’s denn noch schöner? Endlich mal ein Text, dem ich folgen kann. Endlich mal eine Melodie, die mir auf den Bassleib geschrieben scheint. Da kann ich den mir leibeigenen Resonanzkörper mal so richtig fordern. Schon nach dem zweiten Durchgang lass ich mich in das Liebeslied fallen und habe das Gefühl, dass ich meine Bassbrüder förmlich an die Wand singe. A star is born.
Das könnte eigentlich auch mal der Herr Chorleiter freundlich registrieren. Aber irgendwie scheint ihn mein gesangstechnischer Durchbruch nicht wirklich zu erreichen. Denn kaum bin ich so richtig in meinem Element, ist auch schon Schluss mit lustig. Der Herr Krömer möchte lieber noch etwas Klassisches hören. Das ist der Moment, wo ich mich ausklinke. Klassik und Limbrock – das geht nun gar nicht. Und außerdem müssen ja auch noch ein paar Fotos gemacht werden.
Vielen Dank für die Einladung, Herr Wüllner. Es war eine großartige Erfahrung!